Dieses Jahr gedenken wir erneut den Opfern des Novemberpogroms 1938. Vor 79 Jahren gab es von der Nacht vom 9. auf den 10. November organisierte Gewalt gegen Juden im gesamten deutschen Reich durch das nationalsozialistische Regime. So auch in Innsbruck.
Was ist das Novemberpogrom?
Das Novemberpogrom ist auch als (Reichs)Kristallnacht oder Reichspogromnacht bekannt. „Kristallnacht“ bezieht sich auf die zerstreuten Glasscherben zerstörter Wohnungen, Büros, Läden, Synagogen und andere jüdische Einrichtungen. Als Vorwand für diese Ausschreitung der Gewalt gegen Juden in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, wurde das Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath durch den 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan am 7.11.1938 genommen. Für die NS-Führung war das ein gefundenes Fressen, denn einigen war die Diskrimierung durch das Gesetz nicht genug. Die Zahl der Opfer variiert von 36, 91 bis zu 100. Seiten des NS-Regimes wurde die Zahl nach unten gesetzt. Inzwischen werden auch die Juden zu den Opfern des Pogroms gezählt, die sich in Folge der Geschehnisse das Leben nahmen. Manche Historiker gehen von bis zu 400 Opfern aus. Es wurden über 1400 Synagogen zerstört wie auch sonstige Versammlungsorte, tausende Geschäfte und Läden, Friedhöfe und Wohnungen. Nach dem 10.November wurden um die 30.000 Juden in Konzentrationslager gesteckt, wo mehrere Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben.
9. – 10. November 1938, Innsbruck
Um 1 Uhr früh versammelten sich NSDAP-Mitglieder in der Bürgerstraße 10 im SA-Standartenheim. Unter SS-Oberführer Johann Feil bereitete man sich auf die Ausschreitungen vor. In zivil gekleidete SS-Männer wurden in Gruppen aufgeteilt.
In den nächsten Stunden drangen jene Männer in die Wohnungen von Richard Berger, Richard Graubart und Wilhelm Bauer ein und ermordeten diese. Zudem wurde mehrere Innsbrucker Juden schwer verletzt, darunter Josef Adler, der seinen Verletzungen zwei Monate später erlag. Die Wohnungen wurden schwer beschädigt, zwei Geschäfte geplündert und die Einrichtung der Synagoge zerstört. Ein Eingreifen durch die Feuerwehr wurde durch Oberbürgermeister und obersten Befehlshaber der Feuerwehr, Dr. Egon Den, verhindert. Polizeidirektor Dr. Adolf Franzelin, ein SS-Untersturmführer, gab den Befehl in jener Nacht keine Notrufe entgegenzunehmen. Die Bevölkerung Innsbruck beteiligte sich nicht an den Ausschreitungen.
Die Opfer
Richard Berger
Berger wurde 1885 in Brünn, Böhmen, geboren und ließ sich später in Innsbruck nieder. Er war ausgebildeter Brückenbauingenieur und arbeitete als Oberbaurat bei der Bauabteilung der Bundesbahndirektion Innsbruck. 1915 heiratete er Margarete Weiss, mit der er zwei Söhne hatte: Walter und Fritz (Frederic). 1937 wurde ihm das Ritterkreuz von Fürst Franz I. von Lichtenstein verliehen. Nach dem Anschluss Österreichs wurde er außerdem zum Vorstand der Israelitischen Kulturgemeinde für Tirol und Vorarlberg gewählt. In der Nacht auf den 9. zum 10. November drangen Mitglieder der 87. SS-Standarte in seine Wohnung in der Anichstraße 13 ein und zwangen ihn in ein Auto. Sie fuhren mit ihm nach Kranebitten, wo sie ihn am Innufer den Schädel einschlugen und seinen leblosen Körper anschließend in den Inn warfen. Nachdem seine Leiche geborgen wurde, wurde sein Körper nach München überstellt und dort eingeäschert.
Sein Sohn Walter wanderte noch im selben Jahr nach Palästina aus. Bergers Frau Margarete folgte ihrem Sohn 1939 mit der Urne ihres Mannes. Sohn Fritz gelangte im selben Jahr über Holland und Belgien nach England. Dort änderte er seinen Namen auf Frederic Benson, trat 1940 der britischen Armee bei und war an der Verhaftung des SS-Studentenführers Gerhard Lausegger beteiligt.
1983 wurde eine Straße im Gewerbegebiet Mühlau/Arzl nach Berger benannt.
Wilhelm Bauer
Dr.Wilhelm Bauer lebte mit seiner Frau Edith und den Kindern Thomas und Eva im Erdgeschoss der Villa, wo auch Richard Graubart mit seiner Familie lebte (Gänsebacherstraße 5). Bauer war Kaufmann und Chef der jüdischen Handelsorganisation. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurde er zusammen mit seinem Freund, Richard Graubart, brutal niedergestochen. Eine Obduktion der Leiche wurde durch die Gestapo verhindert und seine Leiche, wie die von Berger, auch nach München überführt und eingeäschert. Wilhelms Mutter Flora und Bruder Stefan wurden in derselben Nacht in der Andreas-Hofer-Straße überfallen und verletzt. Am Tag vor der Pogromnacht machten Bauer und Graubart eine letzte Bergtour. Am 12.November wären sie nach Wien zwangsumgesiedelt worden.
Zusammen mit Margarethe Graubart, flüchtete Bauers Frau Edith mit den Kindern nach Wien. Die Kinder Thomas und Eva kamen 1939 über einen Kindertransport nach England, wohin Edith im selben Jahr ebenfalls flüchten konnte. Später emigrierte die Familie nach Kanada.
Richard Graubart
Graubart wurde 1899 als Sohn von Simon und Sofie Graubart in Innsbruck geboren. Mit seinen Brüdern lebte er in der Museumsstraße, wo sich auch das Schuhgeschäft der Familie befand („Schuhgeschäft Graubart„). Als 17-Jähriger wurde er 1917 in den Krieg eingezogen und erreichte den Rang eines Feldwebels. Nachdem er im November 1918 abgerüstet hatte, kehrte er nach Wien zurück, um sein Studium fortzusetzen. 1931 heiratete er Margarethe Hermann, mit der er eine Tochter, Vera, hatte. Nach dem Tod des Vaters führte er mit seinem Bruder, Alfred, das Schuhgeschäft weiter. Nach dem Anschluss Österreichs, wurde das „Schuhgeschäft Graubart“ Zielscheibe öffentlicher Diffamierungen und Fensterschmierereien. In der Nacht vom 9. auf den 10. November läuteten als zivil-verkleidete SS-Männer, an seiner Wohnung und drangen mit dem Vorwand einer Hausdurchsuchung ein. Anführer dieser Männer war SS-Hauptsturmführer Hans Aichinger. Richards Frau und Tochter wurden in ein Zimmer weggesperrt und er selbst durch einen Dolchstoß getötet. Als seine Frau einen Arzt anrufen wollte, wurde die Leitung aus der Wand gerissen. Eine Stunde später traf ein Arzt ein und auf dem Weg zum Krankenhaus verstarb Graubart. Es wurde sogar ein Verfahren eingeleitet, wegen dem Mord an Graubart und Bauer. Jedoch wurde es eingestellt, da der SS-Hauptsturmführer und seine Männer „nur auf Befehl“ gehandelt hätten. Die Villa wurde bereits vorher Mitgliedern der NSDAP versprochen und so bewohnte der Bürgermeister der Stadt, Edmund Christoph, die Wohnung der Graubarts.
Wie bereits vorher erwähnt konnte Margarethe mit der Tochter und der Familie Bauer nach Wien flüchten. Alfred, der Bruder Richards, wurde in seiner Wohnung am Haydenplatz 8 schwer misshandelt. Tochter Vera, gelangte mit den Bauer-Kindern, über denselben Kindertransport nach London. Dorthin folgte Margarethe ihrer Tochter und kehrte nach dem Krieg nach Innsbruck zurück. Dort bemühte sie sich um Rückstellungsverfahren des Wohnhauses und Betriebes ihrer Eltern. 1954 bezog sie eine Wohnung in der Villa (Villa Graubart). Dort lebte sie bis zum Verkauf des Hauses 1996. Darauf zog sie zu ihrer Tochter nach England, wo sie bis zu ihrem Tod 2002 lebte. Margarethes Eltern, Alois und Wilhelmine Hermann, wurden 1942 im Vernichtsungslager Kulmhof ermordet. Richard Graubarts Brüder konnten ebenfalls nach England flüchten. Alfred kehrte 1960 nach Österreich zurück und verstarb 1980 in Wien.
Richard Graubart ist am Westfriedhof Innsbruck bestattet und sein Name ist, wie der der anderen Opfer, am Pogromdenkmal Innsbruck am Eduard-Wallnöfer-Platz, eingraviert.
Weitere Opfer
Neben den Todesopfern wurde weitere Juden in Innsbruck schwer verletzt, wovon einer, Josef Adler, zwei Monate später an seinen Verletzungen starb. Unter diesen Verletzten waren: Flora Bauer, Stefan Bauer, Karl Bauer, Rudolf und Julie Brüll, Berta Dannhauser, Ephraim und Mina Diamand, Eduard Fuchs, Arthur Goldenberg, Alfred Graubart, Julius Meisel, Friedrich und Dora Pasch, Julius und Laura Popper, Louis Rado, Helene Rosenstein und Sohn Fritz, Richard Schwarz und Wolf Meier Turteltaub.
Ich bin absichtlich nicht genau auf die Täter eingegangen, da ich mich auf die Opfer konzentrieren wollte. Falls jedoch Interesse besteht, was aus diesen wurde, ob sie bestraft wurden und wie sich diese Strafe äußerte, kann ich gerne einen Beitrag dazu machen.
Wichtige und interessante Lektüre
Hier findet ihr Links zu Beiträgen, von denen ich die Informationen entnommen habe und die tiefer in die Materie gehen. Außerdem noch ein paar Literaturempfehlungen, die hier in Innsbruck beim Hamon Verlag erhältlich sind.
Links
Über das Pogrom in Innsbruck:
- http://tirol.orf.at/news/stories/2613844/ (Betrag über das Novemberpogrom in Innsbruck)
- http://www.novemberpogrom1938.at/index.html (beschäftigt sich sehr ausführlich mit den Geschehnissen, den Opfern und Tätern. Unbedingt besuchen!)
- http://www.eduard-wallnoefer-platz.at/index.php (Website zum Landhaus, dem Pogromdenkmal und dem Befreiungsdenkmal)
- http://www.ikg-innsbruck.at/geschichte/ (Website der Israelitischen Kulturgemeinde Innsbruck und Vorarlberg)
- http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/gedaechtnisorte-gedenkstaetten/katalog/juedischer_friedhof_innsbruck (Jüdischer Friedhof in Innsbruck, ein Besuch ist es wert)
Allgemeine Informationen über das Pogrom:
- http://motlc.wiesenthal.com/site/pp.asp?c=gvKVLcMVIuG&b=394679 (Von der Wiesenthal-Organisation, bietet auch Einblicke in Quellen, die über da Pogrom berichten)
- http://www.antisemitismus.net/shoah/kristallnacht.htm
- https://www.lpb-bw.de/reichspogromnacht.html
- http://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/tid-34566/reichskristallnacht-die-katastrophe-vor-der-katastrophe_aid_1152375.html
Literaturempfehlungen:
Erhältlich beim Haymon in Innsbruck. Hier der Link: http://www.haymonverlag.at/page.cfm?vpath=buchdetails&titnr=7242
Ebenfalls erhältlich beim Haymon in Innsbruck. Link: http://www.haymonverlag.at/page.cfm?vpath=buchdetails&titnr=572
Ebenso verfügbar beim Haymon. Der Link: http://www.haymonverlag.at/page.cfm?vpath=buchdetails&titnr=7021
Beim Haymon oder hier bestellbar: http://www.haymonverlag.at/page.cfm?vpath=buchdetails&titnr=637
Beim Haymon Verlag wurde einige Bücher zur Geschichte der Juden in Innsbruck veröffentlicht. Ich würde gerne alle verlinken, doch sonst wird es zu lang. Schaut einfach bei der Website vorbei oder informiert euch vor Ort, wenn euch jüdische Geschichte, insbesondere die von Tirol, interessiert 🙂